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Country House Opera II: „Poliuto“ in Glyndebourne

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Bedrängt: Michael Fabiano. Foto: Glyndebourne Opera

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Darf es sein, dass bei einer Donizetti-Oper der Chor und der Dirigent (schon vorher ausführlich beklatscht vom London Philharmonic Orchestra) den meisten Applaus abräumen? Im Grunde schon, denn es spricht dafür, dass man das Stück ernst genommen hat. Für gewöhnlich gibt man bei Belcanto-Schinken das Produktionsgeld vor allem für Starsänger aus. Und dann wird es eben, wenn die nicht wirklich die allerbesten sind, welche den vorgeblich schwachen Hintergrund, vor dem sie auftreten, vergessen machen, oft eine billige Show. Was wiederum dem Werk schadet, das dann schnell als schematisch, wenig bemerkenswert und einzig tauglich für Sängereitelkeiten abgetan wird.

Womit man einem dunkel glühenden, düster gestimmten, weil von so ernsten Dingen wie Christenverfolgung, unterdrückter Nation, wahrem Glauben und Märtyrertod handelnden Werk wie dem 1838 geplanten, aber wegen Schwierigkeiten mit der neapolitanischen Zensur erst zehn Jahre später (und damit posthum) uraufgeführten „Poliuto“ von Gaetano Donizetti Unrecht tun würde. Das Stück ist nicht nur besonders wegen seiner eigentlich simplen (einer Corneille-Tragödie entlehnten) Handlung, bei dem ein zum Christentum bekehrter Armenier auch seine Frau zum wahren Glauben führt und mit ihr sich den Löwen opfern lässt, während der römische Besatzungsoffizier, dem sie früher versprochen war, sich so eifersüchtig wie ohnmächtig dem dominanten Priester unterordnen muss. Es war auch als Comeback-Versuch für Adolphe Nourrit geplant, den stilbildenden Tenor der späten Rossini-Ära. Doch dann wurde es erst 1840, umgearbeitet und um fast die Hälfte verlängert als französische Grand Opéra „Les Martyrs“ uraufgeführt – mit Nourrits Rivalen Gilbert Duprez in der Titelrolle. Nourrit aber war schon ein Jahr vorher in Neapel aus dem Fenster gesprungen.

Es ehrt also das Glyndebourne Festival, dass sie dort für die Englische Erstaufführung des „Poliuto“ wieder einmal ihren großartigen Chor junger Musikstudenten in den Mittelpunkt stellen. Und auch Enrique Mazzola im Graben lässt hier selten zu hörende Farben und Instrumentemischungen deutlich werden, bleibt rhythmisch straff und doch ein wunderbar flexibler Sängerbegleiter. So gewinnt die Partitur überstark an Kraft und dramatischer Plausibilität – was wiederum der von der englischen Presse ziemlich ungnädig aufgenommen, bewusst statisch stilisierten Inszenierung von Mariame Clément zu Gute kommt.

Die möchte kein historistisches Römerdrama mit Sandalentenor, sondern situiert das düstere, ursprünglich in Armenien spielende Geschehen mit ihrer Ausstatterin Julia Hansen in einer wenig konkreten (osteuropäischen?) Diktatur an. Zwischen groben, klotzartig herumfahrenden Wänden wirken die oft sehr lebendigen Chorarrangements wie eingeklemmt, die Solisten singen sich um Ecken herum an, sind oft an den Stein gepresst oder vorn an die Rampe geschoben. Der Intensität der Musik nützt es, die Gefühle dieser Menschen kommen uns nah. Zumal deutlich wird, dass die uniformen Besatzer als Autorität noch den heimischen Priester (Matthew Rose) über sich haben, der ist der Spielmacher der Tragödie, nicht der eingesetzte heimische Gouverneur (Timothy Robinson) dessen Schwäche schon durch seinen Rollstuhl deutlich wird.

Man bespitzelt und überwacht einander, man fraternisiert aus Not und hält am Ende doch gemeinsam gegen den Feind von Innen, die Anhänger des Christentums, zusammen. Alle stehen hier unter gewaltigem Druck. Bei Michael Fabiano als Poliuto entlädt sich das in bisweilen unverbundenen, fast gellenden, aber wirkungsvollen Spitzentönen und einer flammend-flackernden, dabei intensiven Gesangslinie; was sehr gut zum ähnlich unruhevollen, dunklen Sopran von Ana María Martinez passt, die dessen schließlich wieder zu ihm zurückfindende und mit ihm in den Tod gehende Frau Paolina verkörpert. Die Momente ihres Misstrauens, der Bedrängung durch den früheren Verlobten und schließlich ihre Bekehrung gestaltet sie als packende Szenen einer ungewöhnlichen Opernehe.

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Igor Golovatenko und Ana Mará Martinez. Foto: Glyndebourne Opera

Igor Golovatenko und Ana Mará Martinez. Foto: Glyndebourne Opera

Der beste Sänger ist freilich der unsympathische Baritonrivale Severo alias Igor Golovatenko. Der gibt einer als gefühlskalt erscheinenden, auf ihren Rechten beharrenden Figur mit weicher Vokallinie und schön verbundenem Legato weit mehr Tiefe und Empathie als erwartet. Wie überhaupt die „Poliuto“-Begegnung ein vehementes Plädoyer für eine der besseren, auch für unsere Zeit interessanten Donizetti-Opern ist. Nun warten wir auf ein Theater, dass sich (der grandiosen Opera-Rara-Gesamtaufnahme folgend) an eine ungekürzte Aufführung des Schwesterwerks „Les Martyrs“ wagt.

Der Beitrag Country House Opera II: „Poliuto“ in Glyndebourne erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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